12. Juni 2015

Patent Ochsner: Interview mit Büne Huber

«Ich schreibe, um die bösen Geister zu bannen»

Büne Huber über «Finitolavoro», das neue Album von Patent Ochsner, und über Einsichten, Krisenbewältigung und die wiedergefundene Lust am Leben.

Interview: Rudolf Amstutz
Schauen nach vorne: Patent Ochsner: (von links) Menk Grossniklaus, Disu Gmünder, Daniela Bertschinger, Büne Huber, Monic Mathys, Andi Hug, Christian Brantschen, Daniel Woodtly. Foto: © Universal

«Wenn du den Straussenvogel nicht packen kannst, lass ihn springen!», so die Übersetzung des afrikanischen Refrains von «Ausklaar», der ersten Single von «Finitolavoro – The Rimini Flashdown Part III», dem neuen Album von Patent Ochsner. Diese Einsicht steht als Motto über den 16 neuen Songs, in denen die Melancholie, die auf dem Vorgänger «Johnny» zu hören war, zwar weiterhin anklingt, sich aber mit einer gesunden Portion Zuversicht verbrüdert hat. Büne Huber geht es sichtlich gut: das Abschied nehmen ist für ihn zum Neuanfang geworden. Auf «Finitolavoro» verschmelzen die Songs ineinander und werden zu einem einzigen Statement, in dem sich auch die Band in bester Spiellaune präsentiert. Das Orchester rumpelt sich einmal um die ganze Welt – Polka, Tango, Blues, Hip-Hop, TexMex und vieles mehr gesellen sich zur Huberschen Poesie. Das Resultat: Lieder wie «Nachlass», «Da für Di», «Schmierfett», «Tagesizeut», «Bieris» oder «Herr Flühmann», die im kleinen Leben die ganz grosse Kunst finden. «Finitolavoro» ist ohne Zweifel der stärkste Teil der «Rimini»-Trilogie und im 25. Jahr des Bestehens von Patent Ochsner ein neuer Höhepunkt.

Das Interview mit Büne Huber fand im Juni 2015 in Bern statt:

 

Büne Huber, «Finitolavoro», das neue Album von Patent Ochsner,  ist der letzte Teil von «The Rimini Flashdown», einer Trilogie, die 2008 ihren Anfang nahm. Gab es in diesen sieben Jahren auch Momente, in denen das Projekt zu scheitern drohte?

Büne Huber: Ja, zwischen dem ersten und zweiten Teil. Ich litt unter Schreibstau, hatte die grösste Sinnkrise meines Lebens und dachte damals wirklich: Das war's. Da kommt nichts mehr. Und als wir dann den Zweitling «Johnny» tatsächlich zustande gebracht hatten, da war der Band klar, das schaffen wir. Und so war es denn auch: «Finitolavoro» ging «wie düre Anke».

Die 44 Songs der Trilogie erzählen chronologisch eine einzige grosse Geschichte.

Ja, obwohl man zu Beginn absolut keine Ahnung hat, wann und wie die Geschichte enden wird. Ich schrieb die ersten Songs zu «The Rimini Flashdown» bereits 2005. Damals hatte ich einen unglaublichen Flow. Zuletzt hatte ich einen Topf voller Songs, von denen ich wusste, die gehören irgendwie zusammen. Aber wir wollten ja kein gigantisches Doppelalbum veröffentlichen. Ich wusste damals einfach, ich muss diese Songs mit auf eine Reise nehmen und mir in der Folge Räume schaffen, in denen ich um diese Lieder herum Neues bauen kann.

Aber dann kam die Sinnkrise…

Ja. Das war, als meine Ehe zerbrach. Zuvor lebten meine Frau und ich gemeinsam 23 Jahre lang eine tiefe und innige Liebesgeschichte und plötzlich war Schluss. Gerade auch, weil man eine gemeinsame Tochter hat, geht man für eine lange Zeit davon aus, dass es irgendwie doch weitergehen könnte. Ging es aber nicht und ich dachte, jetzt ist finito. Jetzt musst du zur Berufsberatung. Ein Songschreiber, der keine Songs schreiben kann, ist letztlich eben auch keiner.

Du malst ja auch, Deine Tagebücher sind visuelle Momentaufnahmen, in denen Du mit Bildern Gefühle ausdrückst. Hast Du über die Malerei aus dem Tal herausgefunden?

Letztlich schon. Aber auch das war ein schier endloses «Gmurks». Wirklich entscheidend war damals wohl mein Umzug. Die neue Umgebung und die grosse Loftwohnung, in der ich leben und arbeiten kann, gaben mir den nötigen Raum, um wieder atmen zu können.

«Finitolavoro» beginnt mit dem Hinweis, dass es sich hier um einen Abschiedsbrief und ein Röntgenbild handelt. Und ganz am Ende hört man eine Kinderstimme sagen: «Läbet wohl.» Da könnte man fast annehmen, mit Patent Ochsner sei nun Schluss.

Bei der Arbeit zum Album hatte ich nie das Gefühl, dass man dies so interpretieren könnte. Für mich war klar, hier endet die Trilogie. Dies ist der Abschied von der einstigen Liebe. Heute leuchtet auch mir ein, dass man dies falsch verstehen könnte, auch wenn «Finitolavoro» ja alles andere als ein destruktives Album ist.

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Im Gegensatz zum Vorgänger «Johnny» sind die melancholischen Momente der Platte auch von einer lebensbejahenden Stimmung getragen. Vielleicht kann man sogar von einer Art Altersweisheit sprechen.

Ich denke, die neuen Lieder sind von der Einsicht geprägt, dass es im Leben Brüche gibt. Und dass man diese akzeptieren, überstehen und aushalten muss. Dem Song «Tagesizeut» liegt ein Gespräch mit meiner Grossmutter von 2005 zugrunde. Das war einen Monat vor ihrem 100. Geburtstag. Sie sagte damals, es sei ein Jammer so alt zu werden. Sie hatte ihren Mann 1971 verloren und ihn seitdem jeden einzelnen Tag vermisst. 34 Jahre lang – das muss man sich mal vorstellen! Und trotzdem steht man jeden Morgen aufs Neue auf, weil man lernt, mit solchen Sachen zu leben. Solchen Einsichten ist es zu verdanken, dass das Album hoffnungsvoll und versöhnlich geworden ist.

Das ist gut nachzuhören in der wundervollen Ballade «Da für Di».

Auf «Johnny» gibt es den Song «Guet Nacht, Elisabeth», der davon handelt, wie ich einst von zuhause wegging. Und «Da für Di» handelt nun davon, dass meine Tochter flügge geworden ist und auszieht. Und ich möchte ein Vater sein, der sagt: «Ja, geh raus und entdecke die Welt!», doch in Tat und Wahrheit empfinde ich etwas anderes. Songs zu schreiben heisst für mich auch, böse Geister zu bannen, in dem ich dem Drachen «id Schnurre luege». Im Leben gibt es viel Angst und Verunsicherung. Lieder zu schreiben und Bilder zu malen, sind Prozesse, die es mir überhaupt erst ermöglichem, diese Welt für mich erfassbar zu machen. Das wurde mir aber erst jetzt so richtig klar.

«Galgenfeld»...

...da wohne ich...

...ist ein Berner Quartier und auch eine Busstation, der nächste Halt heisst dann «Friedhof».

Ich stehe jeden Morgen auf, schaue aus dem Fenster direkt auf den Friedhof und sage zu mir: «Giele, I läbe!». Wenn du die Endlichkeit derart vor der Nase hast, wird dir so richtig klar, dass das Leben ein Geschenk ist.

Der Song «Galgenfeld» erinnert im Refrain an «In The Neighborhood» von Tom Waits.

Ich schrieb diesen Text als ich ins Galgenfeld zog und die Nachbarschaft auskundschaftete. Es ist ja eine sehr spezielle Ecke von Bern – hier der Friedhof, da die Altmetallsammlung. Als ich mit Meccano Destructif Commando auf Tournee war, wollte ich diesen Text unbedingt benutzen, aber ohne zu verraten, dass es sich um einen neuen Ochsner-Song handelt. Also wurde aus Galgenfeld Neighborhood und aus der Musik eine Anlehnung an Tom Waits, der ja zu meinen ganz grossen Helden gehört.

Von Meccano Destructif Commando, Deinem experimentelleren Nebenprojekt, existiert bis heute kein Tonträger.

Und es wird auch keinen geben. Ich habe echt keinen Bock, Alben zu veröffentlichen, nur damit man sie sich dann gratis runterladen kann. Bei Patent Ochsner verhält es sich anders, weil da eine Geschichte erzählt wird, und weil eine neue Platte auch die Legitimation ist, anschliessend auf Tournee zu gehen und – so hoffe ich zumindest – in ausverkauften Häusern aufzutreten. Aber die Produktion eines Albums verschlingt dermassen viel Geld, das rechnet sich bei den heutigen Verkäufen gar nicht mehr. Es ist verrückt: Jede und jeder trägt heute einen Kopfhörer – es wurde noch nie so viel Musik gehört wie heute und gleichzeitig sinken die Verkäufe ins Bodenlose. Ich habe echt keine Ahnung, wo dies noch hinführen soll.

Vielleicht hört man unter den Kopfhörern auch nicht wirklich hin, sondern nutzt die Musik bloss, um sich von der Aussenwelt abzuschirmen.

So ist es. Kürzlich stieg ich in den Bus und mit mir auch eine ältere Frau, die nicht mehr ganz sicher auf den Beinen war. Alle Plätze waren besetzt und einer, der da mit Kopfhörern sass, starrte mich sofort erstaunt an. Es war offensichtlich, dass er dachte: «Dasch dr Huber». Der Bus fuhr los, ich kümmerte mich darum, dass die Frau ihr Gleichgewicht nicht verlor und der Typ starrte immer noch und drückte auf seinem Handy rum. Ich blickte ihn dann an und zeigte auf die Frau, da schoss er hoch und machte ihr ganz freundlich Platz. Dann sagte er zu mir: «Danke, ich hab das gar nicht mitbekommen.» Da sitzt also einer, der eigentlich Anstand besitzt, und kriegt nichts mit, weil er sich schlichtweg nicht im Hier und Jetzt befindet. Wahrscheinlich ist die heutige Welt für viele Menschen einfach zu viel und dann machen sie halt die Schotten dicht und sagen sich: «I wott jitz eifach für mi si.»

Und an den Konzerten sind die Leute mehr mit dem Fotografieren und Posten beschäftigt als mit dem Zuhören.

Es gab schon vereinzelt Momente, in denen ich auf der Bühne in der ersten Reihe nur Leute sah, die mit ihrem Handy wie wild filmten und ich dachte: «Hey, aber süsch geits?» Aber ich muss auch betonen, dass Patent Ochsner grundsätzlich mit einem tollen Publikum gesegnet sind. Die Begeisterung und Hingabe dieser Menschen berührt mich immer wieder aufs Neue. Deshalb freuen wir uns alle darauf, mit «Finitolavoro» auf Tournee zu gehen. (strahlt)

Die Lust ist Dir förmlich ins Gesicht geschrieben.

Oh ja! Die Vollendung von «The Rimini Flashdown» fühlt sich an wie eine grosse Befreiung. Ich war zuvor noch nie so stolz auf ein Album wie jetzt auf «Finitolavoro». Auch wenn nicht alles autobiographisch ist auf den drei Platten, so sind sie doch eine Chronik eines persönlichen Lebensabschnittes mit Höhen und Tiefen. Und plötzlich hat man diesen abgeschlossen und kann laut sagen: Yes, so schön! Auch, weil die Band immer noch zusammen ist und weil sie mich alle unglaublich unterstützt haben, und weil wir gemeinsam dieses kreative Klima kreieren können, fühlt sich dies jetzt einfach nur grossartig an!

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